Architektenhonorar weiter in der Schwebe

– Mindestsatzunterschreitungen –

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom 4. Juli 2019 (C-377/17) in einem von der Europäischen Kommission betriebenen Vertragsverletzungsverfahren entschieden hat, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/123/EG (Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, indem sie in der HOAI verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. Aufgrund dessen hat sich eine divergierende Instanzrechtsprechung zu der Frage entwickelt, ob die vom EuGH getroffene Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit des zwingenden Preisrechts der HOAI in einem laufenden Zivilrechtsstreit zwischen einem Architekten bzw. Ingenieur und seinem Auftraggeber unmittelbar zu beachten ist. 

  1. OLG Hamm

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verhandelt am 12.05.2020 über die Honorarklage eines Ingenieurs, bei der die Anwendung der in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) festgeschriebenen Mindestsätze im Streit steht.

Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, verlangt von der Beklagten die Zahlung restlicher Vergütung nach Abschluss eines Ingenieurvertrages im Jahre 2016, in dem die Parteien für die vom Kläger zu erbringenden Ingenieurleistungen bei einem Bauvorhaben der Beklagten ein Pauschalhonorar in Höhe von 55.025 € vereinbart hatten. Außerdem erstellte der Kläger drei Nachtragsangebote im Zusammenhang mit nach Übergabe der Planung eingetretenen Änderungen, die von der Beklagten mit dem Hinweis auf eine Pauschalierung des Honorars angenommen wurden.

Nach Kündigung der Vertragsbeziehung durch den Kläger rechnete dieser seine Leistungen in der Honorarschlussrechnung vom 30. Juli 2017 auf der Grundlage der Mindestsätze aus § 56 HOAI (2013) ab. Den nach Abzug der von der Beklagten geleisteten Zahlungen und eines Sicherheitseinbehalts aus der Schlussrechnung noch offenen Betrag von 102.934,59 € brutto hat der Kläger nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit der Klage geltend gemacht.

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein restlicher vertraglicher Zahlungsanspruch nach den Mindestsätzen gemäß § 56 HOAI (2013) zu. Die im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalpreisvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht unwirksam.

Die maßgeblichen Bestimmungen der HOAI, auch zum Mindestpreischarakter, seien im Streitfall anwendbar. Daran ändere die Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik, wonach diese durch Aufrechterhaltung der Bestimmungen zum zwingenden Preisrecht in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 g), Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen habe, nichts. Das Urteil des EuGH binde nur den Mitgliedsstaat, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen müsse, um den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Für den einzelnen Unionsbürger hingegen gehe von dem Urteil keine Rechtswirkung aus. Die Feststellung der Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI im Vertragsverletzungsverfahren ändere nichts daran, dass zum Zeitpunkt des Verstoßes die HOAI zu beachten gewesen sei. Die Dienstleistungsrichtlinie könne nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich sei.

Eine richtlinienkonforme Auslegung des zwingenden Preisrechts gemäß § 7 HOAI (2013) sei ausgeschlossen, weil mit dem erkennbaren Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers unvereinbar. Da die Honorarvereinbarung der Parteien nicht in Einklang mit § 7 Abs. 3 HOAI getroffen worden sei, habe dies zur Folge, dass der Kläger die Mindestsätze nach § 7 Abs. 5 HOAI abrechnen könne. Die nach §§ 55, 56 HOAI auf Grundlage der Mindestsätze vorgenommene Abrechnung des Klägers entspreche den Vorgaben der Honorarordnung. Ein Ausnahmefall, bei der die Honorarvereinbarung den Mindestsatz unterschreiten dürfe, liege nicht vor.

  1. OLG Celle

Ebenfalls am 14.05.2020  wird vom BGH der in der Berufung vor dem Oberlandesgericht Celle verhandelte Rechtsstreit befasst.

Das OLG Celle hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe nicht schlüssig dargelegt, dass die Pauschalhonorarvereinbarungen unwirksam seien und ihr eine Nachforderung in der geltend gemachten Höhe zustehe. Jedenfalls stehe der Honorarnachforderung der Einwand der Treuwidrigkeit (§ 242 BGB) entgegen. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau aller Umstände, bei der der vom EuGH festgestellten Unionsrechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI besondere Bedeutung zukomme. Mit dem Urteil des EuGH vom 4. Juli 2019 sei die Verbindlichkeit des in der HOAI geregelten Preisrechts hinfällig geworden. Die Gerichte seien auch in laufenden Verfahren verpflichtet, ab sofort die für unionsrechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden. Bei seiner unionsrechtskonformen Auslegung sehe sich das Oberlandesgericht Celle nicht den Schranken unterworfen, die das Oberlandesgericht Hamm in seiner gegenläufigen Rechtsprechung aufgeführt habe

  1. EuGH, Beschluss vom 06.02.2020 – C-137/18

Der EuGH  hat jetzt  jüngst seine tragenden Feststellungen vom 04.07.2019 in dem Beschluss vom 06.02.2020 wiederholt und  seine Auslegung der Dienstleistungsrichtlinie, wonach das verbindliche Preisrecht der HOAI gegen den dortigen Art. 15 verstößt, bestätigt. Diese Auslegung lasse, so der EuGH weiter, jedoch die Frage unberührt, ob diese Bestimmungen der Richtlinie 2006/123/EG im Rahmen eines Rechtsstreits, den ausschließlich Privatpersonen gegeneinander führen, anwendbar seien, da diese Frage nicht Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sei.

Der BGH könnte jetzt die Frage der Auswirkungen des Vertragsverletzungsurteils auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten selbst nach Luxemburg  – zum EuGH – zurückspielen und für eine eigene, konkretere Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV nutzen.

Die Fragen bleiben also derzeit (noch) ungeklärt und damit auch, ob sie wegen der (möglicherweise) vorliegenden Mindestsatzunterschreitungen weitere Honoraransprüche gegen Ihre Auftraggeber haben oder Sie gegen Architekten oder Ingenieure oder sonstige Fachplaner abwehren können!

Lassen Sie Ihre Verträge und anstehenden Verfahren sachverhaltlich und rechtlich darauf überprüfen!

Zur Kontaktaufnahme wenden Sie sich bitte an Herrn Rechtsanwalt Thomas Schieder Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht oder Herrn Rechtsanwalt Tilmann Schellhas Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Tilmann Schellhas

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Bau- und Architektenrecht
SCHIEDER UND PARTNER RECHTSANWÄLTE
Prinzregentenufer 3, 90489 Nürnberg

Thomas Schieder

Fachanwalt Baurecht / Architektenrecht
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